Sonntag, 26. Februar 2017


ULRICH LANGE
21.08.2013 | 15:55

WDR 5: Problemthemen als Schleichwerbe-U-Boot

Hörfunk. „Kommen die Reichen zu billig davon?" fragt sich WDR 5 anlässlich eines Thementags am 27.01.2011. Und sendet Schleichwerbung für angebliche Eliteinternate.
"WDR 5", so begeistert sich der Sender für seine so genannten "Thementage", "geht Themen auf den Grund. Ein Thema, einen Tag lang, in verschiedenen Sendungen: An Thementagen informiert WDR 5 facettenreich, intensiv - und fokussiert." Wär's mal tatsächlich so.

„Kommen die Reichen zu billig davon?“ war die Frage des Thementags von WDR 5 am 27. Januar 2011. Das klingt nach deftiger Gesellschaftskritik. Zumindest erwartet man in diesem Zusammenhang nicht unbedingt einen Beitrag zum Thema "Eliteinternate". Es sei denn, man hielte diese für zu billig, was aber dem Eindruck widerspricht, dass solche Institute nur deshalb "Eliteinternate" genannt werden, weil sie besonders teuer sind. Auch der Sender behauptetschließlich in seinen Programm-Tipps, für eine standesgemäße Erziehung ihres Nachwuchses sei den Reichen nichts zu teuer. Der Widerspruch ist leicht aufzulösen: Hier wurde einfach mal ein Werbespot für private Internatsschulen - so ein Thementag ist eben doch recht lang - dazwischen geklemmt. Die populäre Parole von den privilegierten Reichen als U-Boot für Schleichwerbung.

Die Reichen und ihre Kinder

Wörtlich heißt es unter dem Aufmacher „Die Reichen und ihre Kinder“:
„Keine Schule ist ihnen zu exklusiv, wenn es darum geht, den Sprößlingen eine nicht nur solide, sondern exzellente Ausbildung zu ermöglichen. Elite-Internate erleben zur Zeit einen nie gekannten Boom. Unsere Reporterin Karin Bensch besucht eines der renommiertesten Privat-Internate in NRW und spricht mit Schülern, Lehrern und Eltern.“
Folgt man dem Leitbild des Senders auf der eigenen Homepage ("WDR 5 nimmt sich Zeit, Themen umfassend und lebendig darzustellen und setzt dabei vor allem auf das Wort. Hier steht der Hintergrund im Vordergrund.“), so wären unter dem Titel "Leben im Internat" jetzt doch zumindest mal einige Hintergrundinformationen fällig, die den Hörer auf die ungerechtfertigten Vorteile hinweisen, die den Kindern der Reichen aufgrund des Besuchs teurer Eliteinternate in den Schoß fallen und trotzdem noch zu billig davon kommen lassen. Zum Beispiel, weil die Besserverdiener-Eltern die hohen Kosten von der Steuern absetzen können.
Stattdessen folgt ein sensationslüsterner Blick durchs Elite- Schlüsselloch - in die schöne Welt des Privatgymnasiums Schloss Buldern im Münsterländischen, das allen Enstes im Internet bis vor kurzem noch als "Eliteinternat Schloss Buldern" firmierte (so dreist ist nicht einmal das "Eliteinternat par excellenz", die Schule Schloss Salem am Bodensee!)
Als Ersatz für "das Wort" im Vordergrund bietet die WDR 5 - Reportage dem Hörer lediglich diffuse Hintergrundgeräusche, die lebendige Internatsatmosphäre vermitteln sollen. Da knarrt die schwere Eichentür und es summt und brummt gedämpft im Speisesaal. „Es gibt Schnitzel mit Kartoffelpüree und grünen Bohnen“, raunt die Reporterin verschwörerisch. Und weiter: „Die Internatsschüler sitzen an langen Tischen, essen und reden.“ Wer hätte das gedacht?

Hintergrund im Vordergrund?

Das Wort, auf das angeblich gesetzt wird, um Hintergründiges in den Focus zu rücken, kommt direkt aus den Mündern des Schulleiters Wolfgang Kessler und dreier braver Internats-Insassen.
Der Pädagoge lässt sich allerdings mit Blick auf Turnschuhe, Jeans und Sweatshirts seiner Eleven erst mal darüber aus, was nicht im Vordergrund steht: nämlich Äußerlichkeiten. Bravo!
Anschließend werden – ohne jede Gegenrecherche oder Konfrontation mit anderslautenden Ergebnissen einschlägiger Untersuchungen – die üblichen Werbeargumente der privaten Wohnschulbranche aufgezählt:
  • Kleine Klassen ermöglichten eine individuellere Betreuung.
  • Die tägliche überwachte Hausaufgabenzeit zwinge zum Lernen und vermittele Disziplin für den gesamten späteren Lebensweg.
  • Und beides führe nun mal unausweichlich zu besseren Zeugnisnoten, was immer auch über die humane Korruption nachsichtiger Zensurengebung in deutschen Privatschulen gemutmaßt werde.
Und obendrauf gibt’s noch, wie die Reporterin beeindruckt feststellt, „ein ausgefallenes Programm“ für die Freizeit, das allerdings, wie die anschließende Auflistung verdeutlicht, so ausgefallen gar nicht ist. „Tennis, Reiten, Boxen oder Joga“, Disco-Besuch und Hallen-Skating gibt es eigentlich fast überall und unabhängig davon, ob die Eltern für den Schulbesuch 2.000 Euro monatlich hinblättern können oder es nur für den Besuch der öffentlichen Tagesschule reicht.
Wenn die Reporterin den Bulderner Schulleiter dann noch mit der Bemerkung zitiert, dass „inzwischen ein Teil der Elternschaft sich verschulde[t], um eben die Internatsgebühren für ihre Kinder aufzubringen“, so klingt das nicht gerade nach einer Bestätigung für die vollmundige These, den Super-Reichen sei kein Internat teuer genug. Hier scheint eher die abstiegsbedrohte Mittelschicht ihre letzten Reserven zu mobilisieren.
Und die Auskünfte der jugendlichen Interviewpartner zu den Gründen ihres Wechsels ins Internat wecken Zweifel, dass die erwartete Gegenleistung tatsächlich in einer exzellenten Ausbildung besteht. „Weil ich mit meinen Lehrern nicht mehr klar kam und in der Schule auch nicht mehr so gut war“, outet sich da eine Leonie aus Frankfurt. Und ein Daniel aus Bayern ist lediglich froh, sich binnen anderthalb Jahren im Leistungskurs Chemie von vier auf acht Punkte verbessert zu haben – dank einer Kursgröße von gerade mal zwei Schülern. Ist das noch Unterricht oder schon Nachhilfe?

Den "Dingen" leider nicht "auf den Grund" gegangen

So will der Funke der Begeisterung für laut WDR 5 "eines der renommiertesten Privat-Internate Nordrhein-Westfalens" nicht recht überspringen. Stattdessen fragt man sich, wie das beschriebene Institut eigentlich zu seinem angeblich so vorzüglichen Renommee gekommen sein mag und wer derartige Prädikate wohl zertifiziert?
Die Autorin hätte vielleicht der Selbstverpflichtung des WDR folgen und "den Dingen" doch etwas sorgfältiger "auf den Grund" gehen sollen. Vielleicht wäre sie dabei über diese Klage eines ehemaligen Schülers ob der Löschung kritischer Berichte im Internet gestolpert, die offensichtlich das Institut Schloss Buldern veranlasst hatte, um dem guten Leumund etwas aufzuhelfen. Vielleicht hätte man statt der gut gebrieften Interviewpartner aus den Reihen der dort noch "eingebundenen" Schülerschaft auch einige Ehemalige zu Wort kommen lassen sollen, die ihre Erfahrungen auf dem Verbraucherportal "ciao" zum Besten geben.
Und ganz sicher hätte die Redaktion - anstatt im Online-Anreißer zur Sendung noch schnell eine kostenlose Schleichwerbung für das "Elite-Internat" Schloss Salem zu verstecken - die offenkundige Falschmeldung vom "nie gekannten Boom" der Elite-Internate einmal kritisch nachrecherchieren sollen. Da wäre ihr vielleicht ein Bericht der Schwäbischen Zeitung vom 25. Juni 2010 aufgefallen, die die Nachfrage-Entwicklung aus Sicht der berühmten Schule am Bodensee doch ein klein wenig anders darstellt:
„Nach den Querelen um die designierte Schulleiterin Monika Zeyer-Müller und den bekannt gewordenen Missbrauchsfällen (die SZ berichtete) soll nun wieder Ruhe in Salem einkehren. […] Akzente setzen will die Schule nun beim Anwerben von Schülern. Weil auch in Salem wie auch an anderen Schulen bundesweit die Schülerzahlen zurückgehen, will man gezielt auf das europäische Ausland setzen.“
Am Ende bleibt die Frage leider unbeantwortet, ob und warum die Reichen zu billig davon kommen und was das mit dem hier präsentierten Reparaturbetrieb für Problemschüler zu tun hat, dessen abstiegsbedrohte Zahlkundschaft die Internatsgebühren zum Teil nur noch mühsam zusammenkratzen kann. Da hätte es eben eines gesellschaftskritischen Standpunkts bedurft, hätte der Aspekt einer drohenden Refeudalisierung der Bundesrepublik nicht ausgespart werden dürfen, wäre vielleicht auch einmal die ketzerische Frage zu stellen gewesen, ob Landespolitiker und Schulverwaltung das grundgesetzliche Verbot einer Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern überhaupt noch ernst nehmen. Und auf keinen Fall hätte - ohne jede kritische Distanz - das übliche Bashing der "Staatsschule" nachgebetet werden dürfen, mit dem die privaten Bildungsanbieter sich seit Jahren einen unlauteren Wettbewerbsvorteil gegenüber der öffentlichen Konkurrenz zu verschaffen suchen.
Wenn die Autorin ihren Beitrag mit einem Statement des vergnügt glucksenden Privat-Pädagogen aus der Schloss-Schule enden lässt, der natürlich nichts dagegen hat, das fehlende öffentliche Bildungsinvestitionen ihm die Kundschaft zutreiben, befällt den Hörer möglicherweise eine Vorahnung, warum sich billiger PR-Journalismus und Schleichwerbung selbst in den öffentlich-rechtlichen Medien unaufhaltsam ausbreiten. Konkrete Erklärungen findet man unter anderem auf den medienkritischen "Nachdenk-Seiten" unter der Überschrift „Extreme Beispiele von Meinungsmache werden üblich“ .

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